Gefühlt ist es der Winter, der jahrein jahraus prominente Tote bringt. Ganz bewußt wähle ich das Wort „prominent.“ Denn der Verfall der Bedeutung „prominent“ zu sein, zeigt uns die eigenene Vergänglichkeit. Ja: Sich mit dem Tod auseinandersetzen heißt immer, sich auch mit dem eigenen Tod zu befassen. Die wenigsten tun das bewußt. Jemand, der ein Werk erschaffen hat, dass der Nachwelt erhalten bleibt, hat geschafft, was vielen innerer Antrieb ist. Der Tod wird jedoch entmystifiziert, wenn wir erkennen: Es ist nicht jedem vergönnt, etwas Bleibendes zu erschaffen. Daher sollte es nicht der Antrieb sein, etwas zu kreieren, was für andere verbleibt. Die Maßgabe soll sein, sich auszudrücken, „nur“ zu kreieren. Ohne den Verbleib mit einzuplanen. Schön, wenn es bleibt; nicht weniger schön, wenn eigenes Wirken auf vielfältige Weise dazu führt, dass sich jemand erinnert. Und wenn es nur bis 4.30 ist und es einfach ein schöner Abend war, der mang der vielen anderen nicht sonderlich hervorsticht.
Steve Stranges Tod ist hier der Anlass für diesen Eintrag nach längerer Zeit. Steve Strange verbleibt in der Erinnerung vieler ein One Hit Wonder. Verfall inbegriffen. Erst sein Tod hat mich dazu gebracht, mich nochmals mit seinem Zeug zu befassen. Und ich hoffe, es geht anderen auch so. Er ist, im Leben gewesen, wie im Tod mit erweiterter Haltbarkeit seiend, das, was man tatsächlich als Gesamtkunstwerk verstehen darf. Erste Nachrufe beziehen sich also, logisch, nicht allein auf Musik. Zu seiner großen Zeit gab es nicht wenige seiner Art. Optisch aufzufallen war in den frühen 1980ern ganz sicher Teil des Werkes. Doch schon Elvis: Hätte er es zu etwas gebracht ohne Gold-Lamé und später die Las Vegas-Outfits? Punk wiederum ohne entsprechende Uniformierung? Doch muss jemand Freude darin finden, sich derart zu kostümieren. Und diese ist sicher nicht jedem gegeben. Denen ohne Freude am Kostüm sei daher gesagt, dass es nicht die Verpackung ist, die etwas Einzigartiges erschafft. Das Wesen dahinter ist es.
Ich persönlich glaube mittlerweile, dass die Midlife-Crisis Ausdruck dafür ist, sich genau nicht ausgedrückt zu haben. Es wurden vielleicht einige Sprossen der Karriereleiter erklettert, vielleicht einige auch nicht. Doch oft ist wahrscheinlich auch mit dem gewünschten Karrierestand und – siehe unten – mit Haus und Kind und vielleicht Baum die Krise da. Es sei ja eben ein Baum zu pflanzen, ein Haus zu bauen und ein Kind zu zeugen und vielleicht hat man das ja auch alles geschafft. Nur: Dem schließt sich seit langem der Imperativ an, dass auch ein Buch zu schreiben sei. Der Baum wie auch das Kind – wie natürlich auch das Buch – stehen für etwas, das bleiben kann; das nach dem eigenen Tod fortlebt – jedoch noch im Leben zu begutachten ist. Autoschulterklopfer.
Das Buch im besonderen ist jedoch, was den eigenen Ausdruck weiterträgt. Karriere, Haus und Kind eignen sich auch ganz hervorragend zur Ablenkung. Immer ist etwas oder jemand anderes im Spiel. Das Buch schreibt man jedoch für sich allein. Ob es ein Sachbuch, Kinderbuch oder ein Roman ist – einerlei. Gewissermaßen ist diese Aufforderung also so zu verstehen, dass es von Zeit zu Zeit angezeigt ist, allein zu sein. Und sicher ist es gar nicht verkehrt, das Gefühl der Einsamkeit zu kennen. Einsamkeit zeigt nämlich, wenn man bereit ist, das zu erkennen und sich einzugestehen freilich, wie wenig oder sehr man das eigene Glück mit anderen und oder anderem verknüpft. Je größer die Traurigkeit oder Unzufriedenheit oder gar Wut über die Einsamkeit ist, desto eher sollte man davon ausgehen, dass an der Selbstwertschraube gedreht werden muss. Einsamkeit kann jedoch auch die eigene Einzigartigkeit aufzeigen.
Und wenn es der Ausdruck der eben genannten Unzufriedenheit im Einsamsein ist – der kreative Umgang damit, am Ende: Die Kreativität an sich ist es bereits, die letztlich das Ich empor hebt. Und im besten Fall völlig unabhängig von äußeren Faktoren zu eigenem Glück führt.
Zurück zu Steve Strange. Auch wenn das „One Hit Wonder“ sicherlich negativ einfärbt ist, ist bereits mit dem einen Hit etwas Bleibendes entstanden, etwas, mit dem man sich in den Kopf und vielleicht auch das Herz anderer musiziert hat. Man, hier er, Steve Strange, hat etwas geschafft. Ein alljährlicher Scheck über eine sicherlich erkleckliche Summe an Tantiemen dürfte ihm das aufgezeigt haben. Dass jedoch allein das Verbleiben in anderer Menschen Köpfe und Herzen und in diesem Fall auch das damit verbundene Geld nicht glücklich macht, zeigen uns viele viele Gestalten im Biz™. Erst die Erkenntnis etwas ERschaffen zu haben, vermag einen Weg zu eigenem Glück aufzuzeigen. Wie das das nun bei Steve Strange gewesen sein mag, entzieht sich, klar, meiner Kenntnis. Doch als ziemlich konsequenter Optimist möchte ich glauben, dass er zumindest in den letzten Jahren, Freude am Erschaffen gefunden hat. Sein 2013er Album Hearts & Knives ist komplett spurlos an mir vorbeigegangen. Und ich habe erst gestern, nach der Nachricht von seinem Tod, festgestellt, dass es das gibt. Und dass es, verglichen mit vielen anderen Aufbäumungen ergrauender 80s-Heroen, ganz gut sogar ist. Man könnte hier unken, dass eben etwas Kapital aus der Vergangenheit der Antrieb war. Das würde ich jedoch eher ausschließen, denn wenn man sich zB das Video zu Dreamer I Know ansieht, sollte klar sein, dass hier kleine Brötchen gebacken werden mussten. Zudem erschien erst rund eineinhalb Jahre später das letzte Album mit orchestral aufgewärmten alten Hits. Und auch einigen neuen. Diese Platte, Orchestral, war, und ich denke, das wird nicht so geplant gewesen sein, ein guter Abschluss: Altes mit neuem verbunden. Für mich persönlich zeigt das eine gewisse Zufriedenheit auf. Zufriedenheit mit Geschafftem und Erschafftem, vereint als Tonträger.